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Vor 24 Jahren starben bis zu einer Million Tutsi und moderate Hutu beim Völkermord in Ruanda Das Dorf Mbyo bringt Täter und Opfer zusammen Der Weg der Vergebung Hutu Der Ursprung des Konflikts reicht in die Kolonialgeschichte Ru andas zurück Die ursprünglich sozialen Gruppen der Hutu und Tutsi wurden von den Kolonialherren zu Rassen uminterpretiert Nach der Unabhängigkeit instrumentalisi erte die Regierung diese Unterschei dung und wiegelte die Mehrheit der Hutu gegen die Minderheit der Tutsi auf Die staatliche Propaganda verschärfte die Lage über den Radio sender Radio Télévision Libre des Mille Collines Am 6 April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Präsidenten Juvénal Habyarimana selbst ein Hutu abgeschossen Dies nahmen radikale Hutu als Vor wand um den offensichtlich ge planten Völkermord zu beginnen bereits eine halbe Stunde nach dem Flugzeugabsturz mordeten Mili zen in der Hauptstadt Ich war sicher dass ich jetzt auch sterben muss sagt Jaqueline über diesen Morgen im April 1994 Ihr fehlen die Worte um genauer zu beschreiben was sie damals fühlte Sie rannte in ihrer Panik zur katholischen Kirche in der auch andere Tutsi sich in ihrer Angst zusammendrängten Dort traf sie ihren Onkel Auch er hatte Glück gehabt Zusammen schlugen sie sich nach Burundi durch vier Tage lang liefen sie versteckten sich hinter Büschen sie tranken das Wasser aus den Pfützen und aßen Körner die sie auf dem Weg aufsammelten Als wir in Burundi ankamen waren wir keine Menschen mehr sagt sie Vor ihr auf dem Tisch liegt bunter Bast konzentriert flechtet sie die strohigen Schnüre zu einem bunten Untersetzer zusammen den sie draußen auf dem kleinen Versamm lungsplatz des Dorfes an Besucher verkauft Mbyo heißt das weit über die Grenzen Ruandas bekannte Dorf das seine Bekanntheit einer Besonder heit verdankt die während seiner Entstehung unglaublich war ein Dorf in dem Hutu und Tutsi Täter und Familien der Opfer wie Jaqueline Tür an Tür leben Das Dorf ist die revo lutionäre Idee eines jungen Priesters selbst ein überlebender Tutsi Wie sollen wir in diesem Land jemals wieder glücklich werden fragte er sich und wusste Ohne Verzeihen würde es nicht gehen Er ging in ein Gefängnis und stellte sich mit zitternden Knien vor die Männer die auch Mitglieder seiner Familie umgebracht hatten Hutu die mittlerweile von der neuen Regierung für ihre Taten verurteilt worden waren Als er sich an die Situation erinnert berichtet er von den Zurufen der Ge fangenen die ihm entgegenhallten Warum ist er noch am Leben riefen sie Er ist ein Tutsi Wir sollten ihn um bringen Ich komme nicht um euch anzu klagen rief der Priester Lasst ihn reden sagten sie dann Danach können wir ihn immer noch umbringen Der Tag an dem die Mörder kamen um die Familie von Jaqueline mit wenigen Machetenhieben zu töten war sonnig Es hatte am Vortag ge regnet und die rötliche Erde in einen schlammigen Morast verwandelt doch als sich das Mädchen aufmachte um Milch von den Kühen zu holen war der Himmel fast wolkenlos Mühsam balancierte sie den Krug voll mit der weißen Kostbarkeit über die schmalen Pfade Der Mais stand in diesem Monat hoch sie sollte erst später erfahren dass die breiten Blät ter der Pflanzen manchen ihrer Freunde Schutz vor den Angreifern boten Ihrer Familie konnte der Mais nicht helfen Als sie wieder zurückkam mit der Kanne voll mit Milch fand Jaqueline die leblosen Körper Sie hatten keine Chance 24 Jahre später sitzt sie auf einem Sofa in ihrem kleinen Haus in dem sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt Drei Zimmer zum Schlafen Wohnen und Kochen ein Wellblechdach über dem Kopf Stein fußboden unter den Füßen Hier in der Region Burgesera eine Stunde von der Hauptstadt Kigali entfernt lebte sie auch früher mit ihrer Familie Der Völkermord in Ruanda zählt zu den grausamsten der jüngeren Geschichte Afrikas In dem kleinen mitten im Kontinent gelegenen Land das nur etwas größer ist als Belgien ermorde ten radikale Hutu zwischen 800 000 und eine Million Tutsi und moderate Reportage 39DAS MAGAZIN 2 18 TEXT Linda Tutmann FOTOS Jacques Nkinzingabo

Vorschau RBS 2018-02 Seite 39
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