Die von uns geförderte ukrainische Initiative Restart entwickelt Pläne für den Wiederaufbau des Landes – und hat dabei im Blick, die Gesellschaft resilienter und die Infrastruktur grüner und inklusiver zu machen. Wie das konkret aussieht? Das zeigt der Blick zwei Modellregionen, auf die sich Restart konzentriert.
Seit Februar 2022 wehrt sich die Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg. Inmitten von Zerstörung und Leid zeigen die Ukrainer:innen beeindruckende Resilienz. Oleksandr Shevchenko, Gründer der Initiative Restart, gehört zu jenen, die sich dem Schicksal nicht ergeben. „Im Krieg geht es darum, Verantwortung zu übernehmen“, sagt er.
Shevchenko und sein Team aus Stadtplaner:innen, Architekt:innen und Projektmanager:innen haben eine klare Vision: „Wir arbeiten an Plänen, wie man die Ukraine wieder aufbauen kann. Moderner, grüner und widerstandsfähiger“, erklärt er. Dafür entwickelten sie einen mehrstufigen Prozess, der von der Analyse bis zur Umsetzung der Wiederaufbau-Pläne reicht.
Um das Ausmaß der Zerstörung zu erfassen, nutzt Restart digitale Plattformen und Satellitendaten. Dabei stützt sich das Team auf eine sechsstufige Skala, mit deren Hilfe in Japan die Gebäudeschäden durch Naturkatastrophen kategorisiert werden. Diese Methode liefert die Basis für einen detaillierten landesweiten Schadensbericht.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten bei der Anwendung auf Großstädte konzentrierte sich das Team schließlich auf kleinere Kommunen. „Die durchschnittliche ukrainische Kommune hat 30.000 Einwohner“ erläutert Shevchenko. „Uns wurde bewusst, dass wir in solch einer Kommune mehr bewegen können – und dass uns ein gelungenes Beispiel als Blaupause für den Wiederaufbau weiter Landesteile dienen kann.“
Bei der Wahl einer Modell-Region entschied sich das Restart-Team für Voznesensk im Süden der Ukraine. Die Region liegt im Einflussbereich der Front; regelmäßig schlagen hier Raketen ein, zerstören Schulen, Kindergärten oder Kraftwerke. Dazu kommt die Tatsache, dass sich in Voznesensk, wie in vielen Kommunen der Ukraine, die gesellschaftliche Struktur verändert hat. Die Alteingesessenen, die geblieben sind, treffen auf Zurückgekehrte und auf Menschen, die aus besetzten oder verwüsteten Regionen geflohen sind. Hinzu kommen Veteran:innen, die von der Front zurückkehren.
Sie alle müssen vor Ort eine Lebensgrundlage finden und ihr Zusammenleben neu verhandeln. Gelingt dies nicht, entscheiden sich immer mehr Menschen, wegzuziehen – das Land entvölkert sich. „Wir haben gesehen, dass es wichtig ist, genau jetzt die Infrastruktur in Regionen wie dieser zu stützen. Dann entscheiden sich die Menschen zu bleiben – was wiederum wichtig ist für unsere Gesellschaft“, sagt Shevchenko.
Im Januar 2024 stellte das Restart-Team den Einwohner:innen von Voznesensk die Analyse ihres Berichts vor. Für das Team ist es entscheidend, die lokale Bevölkerung in die Entwicklung eines Modells für den kommunale Wiederaufbau einzubeziehen – denn die Menschen vor Ort sind die besten Expert:innen in ihrer Stadt.
Für Voznesensk erarbeiteten die Planer von Restart einen umfassenden Ansatz. Drei Handlungsfelder illustrieren dies exemplarisch: Zum Einen soll hier ein Zentrum regionalen Unternehmertums entstehen, das zum Beispiel kleine Technologiefirmen zum Bau von Drohnen oder Baustoffhändler beheimatet. Zum Zweiten will man Schutzräume in allen Schulen und Kindergärten bauen, damit Kinder diese sicher besuchen können. Zum Dritten will Restart die Energieproduktion dezentralisieren, um den Ausfall durch Luftschläge zu minimieren.
Inzwischen setzt Restart mit einem neuen Projekt einen besonderen Fokus auf Soldat:innen, die von der Front in ihre Gemeinden zurückkehren – oft verwundet an Leib und Seele. Hunderttausende sind es bereits, und die Zahl steigt stetig. „Wir wollen dazu beitragen, dass diese Menschen im zivilen Leben wieder Fuß fassen können“, sagt Shevchenko. Als Modellregion für dieses Projekt wurde Iwano-Frankiwsk im Westen der Ukraine ausgewählt.
Das „Restart“-Team will die Infrastruktur der Region in einem Modell abbilden und mithilfe eines Analysetools Chancen und Hürden für die Integration von Kriegsveteran:innen ermitteln. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Krankenhäusern und der städtischen Infrastruktur.
Die Zeit der Veteran:innen im Krankenhaus sehen Shevchenko und sein Team als entscheidend für die vollständige Genesung an. Falls die Veteran:innen nicht lernten, ihre Kriegserlebnisse zu verarbeiten, sei die Gefahr hoch, dass sie sich zu Hause isolierten oder generell deren Integration misslinge.
Auch scheinbar kleine Hindernisse im Alltag von Kriegsrückkehrer:innen können große Auswirkungen haben. „Es wird häufig unterschätzt, dass bereits eine hohe Bordsteinkante für eine Person, die ein Bein verloren hat, ein Hindernis darstellt“, erläutert der Shevchenko. Um solche Barrieren zu identifizieren und abzubauen, plant Restart Trainingskurse für Veteranen.
Darüber hinaus setzt das Projekt auf soziale Integration durch Sport- und Kulturveranstaltungen. „Dadurch kommen die Veteraninnen und Veteranen in Kontakt mit den Menschen in der Stadt“, so Shevchenko. Er betont dabei: „Wir sind diesen Menschen zu großem Dank verpflichtet. Sie haben unser Land verteidigt.“